Rundbrief Februar 2002

 

Antiqua - Einführung

 

Vorwort

Die Antiqua wird als Königin der Schriften bezeichnet und liefert die Buchstabenformen, die im Euro-amerikanisch beeinflußten Teil der Erde als gängige Schrift genutzt wird. Unser Alltag ist durchdrungen von den Formen dieser Grapheme: Zeitungen, Bücher, Beschriftungen an Autos, Häusern, Küchengeräten... überall Schriftformen, die auf die Antiqua zurückzuführen sind.


Geschichte

Ihre frühesten Ausläufer finden wir im alten Rom, als die uns bekannten Buchstabenformen bereits in Stein gemeißelt wurden.

Wir erkennen darin die Urväter unserer Großbuchstaben.

Aber woher kommen die Kleinbuchstaben?

Wenn wir die Schriftgeschichte durchforschen, finden wir erstmals im 8. Jahrhundert bei der Karolingischen Minuskel eine Schriftform, die uns schon sehr stark an unsere gewohnten Kleinbuchstaben erinnert.

Der Italiener Claude Garamond hat um 1500 auf dieser Grundlage ein Alphabet geschnitten, das heute noch gerne genutzt wird:

Über Rom zur Zeit von Christi Geburt und über das Reich Karls des Großen sind wir also in die Renaissance gekommen, wo in Italien im 15. Jahrhundert mit der Antiqua eine Schrift geschrieben wurde, welche die Großbuchstaben aus der Kapitalis Romanum (oder Kapitalis Quadrata) ableitete und die Kleinbuchstaben aus der Karolingischen Minuskel.

Diese Antiqua hat sich über die Jahrhunderte zwar den entsprechenden Richtungen von Kunst, Kultur und angepaßt aber nie grundlegend gerändert und ist somit Grundlage unserer Schrift, die wir in den Schulen lernen und im Alltag anwenden.

Unsere gewohnte Schrift gesteht somit aus eigentlich zwei Alphabeten, die aus verschiedenen Zeiten stammen: ein Großbuchstabenalphabet, das 2000 Jahre alt ist und ein Keinbuchstabenalphabet, dessen Ursprünge 1200 Jahre zurückliegen. Die 800 Jahre Differenz fordern schon manchesmal das Können des Schreibers heraus, um eine gelungene Verbindung dieser beiden Alphabete in einer gelungenen Schriftgestaltung zu erreichen.


Buchstabenformen

Für jeden Schreiber lohnt es, sich mit den Grundformen der Buchstaben vertraut zu machen. Besonders das Großbuchstabenalphabet weist eine Ausgewogenheit auf, die sich seit 2000 Jahren bewährt hat. Ihr Gestaltungsprinzip war der Goldene Schnitt, mit dem die Römer, inspiriert von der gestaltsetztenden Kraft der Geometrie Pytagoras', ihre Buchstaben belebten.

Was ist zu beachten?

folgende Beispiele sind gedacht für die 3 mm Bandzugfeder auf 4 Kästchen Höhe

 Die Breite der Buchstaben: M, W, A, V, O, Q entspricht 4 Kästchen

 Die Breite der Buchstaben: C, D, G, H, N U entspricht 3,5 Kästchen

 Die Breite der Buchstaben: K, T, X, Y entspricht 3 Kästchen

 Die Breite der Buchstaben: B, E, F, i, J, L, P, R, S, Z entspricht 2 Kästchen

 

Des weiteren sind an allgemeinen Gestaltungsgrundsätzen zu beachten:

 

Die Mitte ist die Mitte ist die Mitte

Wir unterscheiden zwischen rechnerischer und optischer Mitte

Die sogenannte "rechnerische Mitte" ist messbar.

Die "optische Mitte" ist eine Idee oberhalb der rechnerischen Mitte.

 

Stand auf dem Boden

 

Balkenformen schmiegen sich an die Zeile.

Bögen und Spitzen gehen eine Idee drunter und drüber. Dadurch wirken sie auf der gleichen Ebenen stehend wie Balkenformen.

 

Vom richtigen Abstand

•  zwei "gerade" Formen treffen sich:
"normaler Abstand"

•  eine gerade und eine gebogene Form treffen sich:
weniger Abstand

•  zwei gebogenen Formen treffen sich:
sind noch enger zusammen

 

 

„Die Buchstaben gehören zu den ältesten uns er­haltenen Kulturemen. Sie haben ihre ursprüngli­che Form zwar im Laufe der dreieinhalbtausend Jahre, die seit ihrer Erfindung vergangen sind, wiederholt verändert, aber sie ist bei ihnen noch immer erkenntlich: durch das „A“ hindurch die beiden Hörner des semitischen Stiers (hebräisch „aleph“), durch das „B“ hindurch die beiden Kuppeln des semitischen Hauses (hebräisch „beth“), durch das „C“ hindurch der Buckel des semitischen Kamels (hebräisch „gimul“). Die Buchstaben sind Bilder einer Kulturszene, so wie sie im zweiten Jahrtausend vor Christus am östli­chen Mittelmeer von den Erfindern des Alphabets wahrgenommen wurden. Sie sind Piktogramme von Dingen wie Stieren, Häusern, Kamelen. ... Wir gebrauchen die Buchstaben nicht mehr als Piktogramme von uralten Dingen, sondern als Zeichen für ungefähr den ersten Laut jener semitischen Wörter, welche diese Dinge benennen.“

Vilem Flusser

 

„Für mich besteht kein Zweifel, dass diese geo­metrischen Zeichen gewöhnlich nicht abstrakte Formen darstellen, sondern das Ergebnis einer Entwicklung aus richtigen Bildern sind.“

Ignace Jay Gelb


Aufsätze zur Kalligrafie
Rundbriefe aus den Jahren 2001 und 2002
sowie die Petersburger Aufsätze